Ein Quartier im Grünen mit viel Potenzial

| 9. Jul. 2019

AZ 5. Juli 2019 — Die Menschen im Meierhof sind zwar laut einer Umfrage seltener wunschlos glücklich als die restlichen Stadtbewohner. Doch die Zukunftsaussichten für das Quartier sind dank grosser Entwicklungsmöglichkeiten ausgezeichnet.


Aargauer Zeitung 7. Juli 2019 von Pirmin Kramer (Text), Alex Spichale und Sandra Ardizzone (Fotos)

Die beiden wohl wichtigsten Merkmale des Meierhofs fallen beim Blick aus der Luft sofort auf: Erstens die Nähe zu den Wäldern – das Quartier liegt eingebettet zwischen Sonnenberg und Kreuzliberg. Und zweitens sticht die Trennung ins Auge, die Mellingerstrasse und Eisenbahnlinie zur Folge haben. Wie Schneisen ziehen sich die Verkehrsachsen durch das langgezogene Quartier, das dadurch dreigeteilt wird: in je ein Gebiet unterhalb der Wälder und einen inselartigen Bereich dazwischen, auch Talsohle genannt. Die Nähe zur Natur und die Trennung der Quartierteile wurden bei einer Bevölkerungsumfrage der Stadt als typischste Eigenschaften des Meierhofs genannt; sie sind aber bei weitem nicht die einzigen Merkmale.

Der Meierhof zeichnet sich insbesondere durch die Nähe zum Zentrum aus. «Es ist fantastisch. Beim Frühstück schaue ich den Rehen zu, danach gelange ich in nur zwölf Minuten von zu Hause zu Fuss zum Bahnhof», sagt Lukas Frey, Co-Präsident des Quartiervereins. Er wählt für den Start des Rundgangs die seiner Ansicht nach «hässlichste Stelle» des Quartiers: den Schadenmühlestich und Schadenmühleplatz, die vom Zentrum her kommend die Eingangspforte zum Meierhof bilden. Man könnte es auch positiv formulieren: Dieses Gebiet bietet enormes Entwicklungspotenzial. Womöglich wird neben dem Schadenmühleplatz eines Tages unter anderem ein Hochhaus für die Stadtverwaltung gebaut.

Etwas versteckt dahinter, in einer ehemaligen Schreinerei, befindet sich die «Bike Zone». Inhaber Marco Wieser sagt, der Standort sei in mehrfacher Hinsicht optimal: «Preislich wäre die Innenstadt nicht tragbar, hier befinden wir uns dennoch in der Nähe des Zentrums.» Ausserdem eigne sich die Topografie des Quartiers ideal für Testfahrten seiner Kunden mit den Velos.

Ein kleines Abbild der Schweiz

Typisch für den Meierhof ist auch die Vielfalt der Wohnformen – das Nebeneinander von Villen, Einfamilien-, Mehrfamilienhäusern und Blöcken hat eine ausgewogene Zusammensetzung der Bevölkerungsschichten zur Folge. «Es ist wirklich erstaunlich», sagt Lukas Frey, «statistisch gesehen lebten hier viele Jahre prozentual fast aufs Komma genau so viele Akademiker, Arbeiter und Ausländer wie im landesweiten Durchschnitt. Der Meierhof war einige Zeit ein kleines Abbild der Schweiz.» Zuletzt habe sich aber auch die Bevölkerungsund Sozialstruktur im Meierhof verändert, womöglich wegen der steigenden Preise für Mietund Eigentumswohnungen in der Region.

Im statistischen Vergleich mit der Gesamtbevölkerung der Stadt Baden gibt es derweil (wie von jeher) einige deutliche Unterschiede. Die Altersgruppe der über 80-Jährigen ist mit einem Anteil von 8,2 Prozent fast doppelt so stark vertreten wie im restlichen Stadtgebiet. Das liegt ohne Zweifel am Alterszentrum Kehl, das in den vergangenen Jahren modernisiert wurde, mit langen Wartelisten als Folge. Ein weiterer Unterschied: Einwohnerinnen und Einwohner, die mehr als 100000 Franken pro Jahr verdienen, sind im Meierhof wesentlich seltener vertreten (9,7 Prozent) als im gesamtstädtischen Schnitt (21,7 Prozent). Im Quartier gibt es zwar einige sehr attraktive Parzellen, gleichzeitig aber überdurchschnittlich viel Wohnraum für Haushalte mit geringerem Einkommen.

Dass die Meierhöflerinnen und Meierhöfler laut Umfrage «seltener wunschlos glücklich» sind als die restliche Stadtbevölkerung, liegt aber nicht an den Vermögensverhältnissen. Einem Drittel der Befragten fehlen die gastronomischen Angebote, die auch zu den gewünschten Treffpunkten führen könnten. Immerhin: Jensen’s Food Lab hat kürzlich einen Teil der Lücke geschlossen. Dass dem Meierhof ein eigentliches Zentrum fehlt, liegt auch daran, dass die Verbindung der eingangs erwähnten Quartierteile nur punktuell gewährleistet ist. Am ehesten gelten bei den Befragten die Bäckerei Spitzbueb, die Migros und das Schulhaus als Orte, an denen man sich trifft; sie alle befinden sich in der Talsohle.

Verkehr: Fluch und Segen zugleich

An der Zufriedenheit mancher Bewohner nagt der Lärm. Nadja Schneider, Luftartistin und Inhaberin der Schule «Tanz der Lüfte», findet für ihr Wohnquartier zwar fast ausschliesslich lobende Worte; sie spricht von einem «Stück heile Welt», solidarischer Nachbarschaft und perfektem Wohnort für Familien mit Kindern. Die Schulen und Kindergärten hätten hier noch eine überschaubare Grösse, und die Wege seien kurz. Wegen des Lärms der Mellingerstrasse wird sie mit ihrer Familie voraussichtlich aber in ein anderes Stadtquartier ziehen. Lukas Frey relativiert: «Betreffend Lärmbelastung gibt es im Meierhof sehr grosse Unterschiede.» Auch diesbezüglich gab es zuletzt Fortschritte: Sehr erfreulich sei, dass die Emissionen dank des neuen Strassenbelags («Flüsterbelag») stark gesunken seien.

Ein wenig Unbehagen bereitet Frey der Mehrverkehr, den die geplante Überbauung Galgenbuck in Dättwil bringen könnte. Wiederholt machte er sich darum für die Umnutzung der Eisenbahnlinie zu einer Stadtbahn stark. Das Quartier würde davon in jederlei Hinsicht nur profitieren. Den Glauben daran, dass im Meierhof dereinst ein Tram fahren wird, habe er jedoch verloren. «Die Eisenbahnlinie wurde vor wenigen Jahren komplett saniert. Sie dient den SBB als Bypass zum Heitersberg. Es kam auch schon vor, dass ein TGV durch den Meierhof gefahren ist.» Paradoxerweise stellt ausgerechnet die viel gescholtene Mellingerstrasse einen der wichtigsten Standortvorteile des Meierhofquartiers dar. Denn sie verbindet das Quartier nicht nur mit dem Zentrum, sondern auch mit der äusserst nahe gelegenen Autobahneinfahrt in Richtung Zürich, Bern und Basel.

Verdichtung vielerorts möglich

Und die Zukunft des Meierhofs? Die Chance, dass sich das Quartier prächtig weiterentwickeln werde, sei sehr gross, ist Lukas Frey überzeugt. «Die Verdichtung unseres Quartiers hat begonnen, ist aber noch längst nicht abgeschlossen. Das Potenzial für Weiterentwicklung ist beträchtlich. Es hat momentan bei weitem nicht für alle Menschen Platz, die gerne hier leben würden, vielleicht ein Haus kaufen möchten.» Für Verdichtung bieten sich einige in die Jahre gekommene Einfamilienhaus-Gebiete an; dazu gibt es zusätzlich zur Fläche beim Schadenmühleplatz auch Freiraum für öffentliche Bauten und Anlagen westlich vom Schulhaus Meierhof.

Der Badener Stadtrat schreibt betreffend Verdichtung im vor einigen Wochen veröffentlichten Raumentwicklungskonzept: «Der Talboden zwischen Eisenbahn und Mellingerstrasse wird zu einem dichten und stark durchmischten Quartierteil für Wohnen und Arbeiten weiterentwickelt. Er stellt ein Bindeglied zwischen den Wirtschaftsstandorten Dättwil und Innenstadt dar, das sich nach beiden Seiten hin ausrichten kann.»

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Category: Quartier